Der künftige Balanceakt zwischen Marketing und Realität: Interview mit einem DKU-Professor Prof. Dr. Sebastian Zips für die DAZ-Zeitung
Interview mit Prof. Sebastian Zips
Prof. Dr. Sebastian Zips von der Hochschule Zittau/Görlitz ist Gastdozent im Studiengang Marketing an der Deutsch-Kasachischen Universität. Seit seinem Master-Abschluss 2012 unterrichtet er in diesem Fachbereich. Im Jahr 2018 nahm er den Lehrauftrag für Internationales Marketing an der DKU an, seitdem ist er jedes Jahr für wenige Wochen in Almaty als Dozierender tätig. Wir haben mit dem Professor über seine Lehre an der DKU, Veränderungen und die Zukunft der Marketingwelt gesprochen.
Herr Zips, wie hat sich das Marketing über die Jahre hinweg verändert?
Die Strategien im Marketingbereich haben sich grundsätzlich gar nicht verändert. Die Hauptaussage ist immer nur: Finde heraus, was der Kunde will, und gib ihm, was er braucht. Was sich geändert hat, ist das Operative. Die Rolle der sozialen Medien ist mittlerweile natürlich groß, und wächst stetig weiter. Dabei verschwimmen auch Grenzen miteinander; beispielsweise ist bei vielen Trends oft gar nicht mehr erkennbar, wo diese ursprünglich herkommen.
Erkennen Sie Unterschiede in der Art und Weise, wie in Deutschland und Kasachstan Werbung gemacht wird?
Der Nachhaltigkeitsaspekt spielt in Deutschland bei der Werbung eine zunehmende Rolle. Es geht nicht mehr nur noch darum, das Produkt in seiner eigentlichen Funktion zu bewerben; soziale und ethische Aspekte rücken immer mehr in den Fokus.
In unserer Gesellschaft dominiert zunehmend die Denkweise, dass Konsum gleichzeitig auch gut für die Umwelt sein muss. In Kasachstan sind die Menschen, wie es mir scheint, noch nicht so weit.
Welche Lehrmethoden verwenden Sie an der Kasachisch-Deutschen Universität?
Ich versuche immer, viel Gruppenarbeit in meinen Unterricht mit reinzubringen. Beispielsweise lasse ich die Studenten sich eine Firma aussuchen, und sie sollen deren Marketingstrategien erarbeiten und präsentieren. Gerade in Kasachstan habe ich oft das Gefühl, dass der Frontalunterricht dominiert und solche Gruppenarbeiten dementsprechend gern gesehen werden.
Generell das Lehrer-Schüler-Verhältnis ist ein Anderes als in Deutschland. Eine Lehrkraft hat in Kasachstan einen anderen Stellenwert. Hier werden Fragen und Meinungen, die eine andere Sicht der Dinge darstellen, mit Vorsicht gestellt und von sich gegeben. Eine Diskussionskultur wie in Deutschland ist hier in Kasachstan nur wenig gegeben.
Andererseits scheint es mir, dass die persönlichen Beziehungen an Universitäten in Kasachstan intensiver als in Deutschland sind. Ich wurde bei meinem ersten Lehrbesuch und auch jetzt wieder an der DKU von den Studenten nach dem Unterricht oder am Wochenende sehr oft eingeladen etwa zu einem Picknick im Park, zu einem Spaziergang im botanischen Garten oder in die Berge zu einer Wanderung. Mir gefällt es sehr, dass man mich nicht nur als Lehrperson, sondern einfach auch als Menschen sieht, und mir herzliche Gastfreundschaft entgegenbringt.
Welche Charaktereigenschaften, würden Sie sagen, sind notwendig für jemanden, der in der Marketing-Branche Fuß fassen möchte?
Ich würde sagen Kreativität. Von Vorteil ist auch, wenn jemand ein Gespür dafür hat, was die Gesellschaft gerade braucht. Man sollte eine kreative Art und Weise an den Tag legen, wie man dies umsetzt. Wichtig ist dabei, aus der Masse hervorzustechen und es nicht so zu fabrizieren, wie es bereits viele andere zuvor gemacht haben. Trotzdem sollte man dabei nicht zu aufdringlich sein, und dem Kunden gerecht werden. Dabei sollte man auch nicht vergessen, dass man durch die übermäßige Nutzung von digitalen Tools viele Dinge selbst verlernt. Gerade kreatives Denken verschwindet damit immer mehr aus unseren Köpfen. Dies ist ein Punkt, auf den man auch in der Marketing-Branche aufpassen muss: dass die Werkzeuge, die uns zur Verfügung stehen, nicht unser eigenes Denken ersetzen.
Wie sieht Ihrer Meinung nach das Marketing der Zukunft aus?
Wir werden durch ‚Big Data" ganz stark in ein personalisiertes Marketing übergehen. Durch sämtliche Daten, die wir online abgeben, werden wir als individuelle Personen durchsichtig. Durch den Content, den wir beispielsweise in sozialen Netzwerken teilen, kann ganz speziell auf jeden einzelnen zugeschnittene Werbung mit für uns relevanten Produkten erscheinen. Diese künstlichen Intelligenzen werden weiterhin, und in der Zukunft noch mehr, das Marketing gestalten.
Auch das sogenannte ‚Geo-Marketing" wird immer beliebter bei Unternehmen. Aufgrund der Wohnorte der potenziellen Kunden können die Preise, wenn beispielsweise überwiegend ‚besserverdienende" Regionen angezeigt werden, angepasst werden. Für Firmen ergeben sich die Vorteile, dass sie ihr Marketing passgenauer gestalten können. Dadurch ergeben sich weniger Streuverluste; der Unternehmer macht somit keine ‚verlorene Werbung" mehr, wie wenn er einfach nur Anzeigen für die Allgemeinheit schaltet. Für den Abnehmer ist die personalisierte Werbung zunächst einmal komfortabler, weil man nicht mehr nach dem gewollten Produkt suchen muss; oft ist man nur noch einen Klick vom Kauf entfernt.
Würde man andererseits das Ganze als Individuum kritisch reflektieren, würde man sich vielleicht irgendwann fragen, ob man nur noch als Konsummaschine gesehen wird. Trotz der persönlich adressierten Werbung interessiert sich im Endeffekt niemand für uns als Menschen. Hier sehe ich einen Punkt, an dem Unternehmen Gefahr laufen können, Individuen eben nicht mehr als diese zu sehen. Verbunden damit ist der kritische Umgang mit sozialen Medien enorm wichtig, um dann nicht zuletzt auch im Marketing keinen Realitätsverlust zu erleiden. Es geht auch in naher Zukunft darum, das Gleichgewicht zwischen Realität und Marketing zu halten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Annabel Rosin.
Qulle: Die Deutsche Allgemeine Zeitung (DAZ) https://daz.asia/blog/der-kuenftige-balanceakt-zwischen-marketing-und-realitaet/